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Gerechtigkeit


Antike und Moderne


Warum die Antike untergegangen ist, stellt ein beliebtes Thema der Historiografie dar, aber ein Versuch, diese Frage zu beantworten, würde die Grenzen meines Themas sprengen. Ich stelle deshalb wesentliche Unterschiede zwischen Antike und Moderne sozusagen idealtypisch dar.
Die Antike bestand aus autarken Bürgern, hatte zumindest das Ideal der Autarkie – die Moderne geht von einer arbeitsteiligen Produktion aus, die durch den Markt vermittelt und zusammengehalten wird.
Über den Markt sind alle Menschen im entwickelten Kapitalismus existenziell miteinander verbunden. Durch Kauf von Lebensmitteln, Verkauf der Arbeitskraft und durch den Austausch, die Konkurrenz und Kooperation der Betriebe.
Entsprechend ist es nicht mehr vorwiegend die Moral, die eine Gesellschaft zusammenhält, sondern der Markt. Moral ist nur noch notwendig, insofern sich die Teilnehmer des Marktes auch innerlich an seine Regeln halten sollen.
In der Antike musste der Zusammenhang der Polisbürger durch Moral gesichert werden. Was die Polis über diesen Zusammenhang hinaus an metaphysischer Einheit sich herstellte, war mehr der Zwecksetzung durch Philosophen geschuldet als real. Dagegen stellt das Kapital einen realen metaphysischen Zusammenhang her. Kapital ist ein gesellschaftliches Verhältnis, es existiert nur im Zusammenhang mit seinesgleichen. Der sich herstellende Wert als Durchschnittsarbeitszeit setzt einen allgemeinen Zusammenhang voraus, der auch den Einzelkapitalen vorausgesetzt ist. Kapital existiert nur als verselbstständigtes, unbeherrschbares, also entfremdetes System, das zwar die Einzelkapitale durch ihre ökonomischen Aktionen herstellen, das sie aber nicht bewusst anstreben. Kapital ist eine Verdinglichung seiner Beziehungen und der Menschen in ihr. Es ist „aber das Kapital im allgemeinen im Unterschied von den besondren reellen Kapitalien selbst eine reelle Existenz.“ (MEW 42, S. 362 (Grundrisse)).
Die antike Gesellschaft hatte nur die Alternative, wie bereits Kritias und Platon erkannt hatten, entweder einen moralischen Zusammenhalt von ansonsten autarken Bürgern herzustellen, um innerem Zwist und äußerer Bedrohung zu widerstehen – oder unterzugehen, von anderen Poleis versklavt oder gar vernichtet zu werden. Entweder Moral oder Rückfall in den vorantiken Naturzustand kleiner Hirtengruppen bzw. als Sklaven zu dienen. Moral ist also eine notwendige ideelle Existenzbedingung der Polis, d. h. ohne Moral könnte sie nicht existieren, weil sie zu allererst den Zusammenhalt der mehr oder weniger autarken Bürger verbürgt. Wenn man etwas über Moral erfahren will, dann ist die Antike, vor allem die attische Demokratie und ihre philosophische Reflexion, die erste Adresse.
In der attischen Polis gab es keine Trennung von Gesellschaft und Polis, Bürger und Staat, ja man kann gar nicht vom Staat in der modernen Bedeutung des Wortes sprechen. So waren in Athen zeitweise bis zu 30 % der Bürger an den Ämtern und Funktionen der Polis beteiligt, z. B. als Richter, Beamte, Teilnehmer der Volksversammlung, Leiter von Riten und so weiter. Erst in der  Moderne entsteht der Staat, wie wir ihn heute kennen. Er besteht aus der Exekutive, welche die Richtlinienkompetenz hat, einem Behördenapparat aus Beamten, einem stehenden Heer und hat genau definierte Landesgrenzen. Ihm stehen die steuerpflichtigen Bürger gegenüber. Die wesentliche Funktion des Staates besteht darin, den Markt zu regeln und abzusichern, also Rechtsfrieden herzustellen und zu erhalten. Dabei hat dieser Staat die Tendenz, sich gegenüber der bürgerlichen Gesellschaft zu verselbstständigen. Kant spricht vom Staat als einer „Maschine“ (Was ist Aufklärung? S. 11) Soweit die Bürger jetzt als Klasse der Besitzenden an der Politik partizipieren können, wählen sie als Citoyen ihre Repräsentanten, während sie ihre ökonomische Funktion in der bürgerlichen Gesellschaft als Bourgeois weiter ausüben. Was also in der Antike aufgeteilt war in Arbeitende und Nichtarbeitende, ist heute in den Individuen des Bürgertums aufgeteilt in staatsbürgerlichen Citoyen und ökonomischen Bourgeois, während der eigentliche Staat, sozusagen als ideeller Gesamtkapitalist, eine verselbstständigte Institution darstellt. Die moderne Gesellschaft ist nach wie vor herrschaftlich verfasst, die Besitzer der Produktionsmittel herrschen über diejenigen, die nur ihre Arbeitskraft auf dem Markt verkaufen können. Die Lohnarbeiter sind frei in der doppelten Bedeutung, dass sie freie Personen sind, Rechtssubjekte; und zugleich sind sie frei von den Mitteln ihrer Existenz, den Produktionsbedingungen. Zwangsarbeit ist deshalb heute überwiegend Lohnarbeit.
Daraus folgt, „daß der Mensch, der kein andres Eigentum besitzt als seine Arbeitskraft, in allen Gesellschafts- und Kulturzuständen der Sklave der anderen Menschen sein muß, die sich zu Eigentümern der gegenständlichen Arbeitsbedingungen gemacht haben. Er kann nur mit ihrer Erlaubnis arbeiten, also nur mit ihrer Erlaubnis leben.“ (Marx: Kritik des Gothaer Programms, S. 15)
Dieser Vergleich mit dem Sklaven ist für die bürgerliche Gesellschaft nicht rechtlich gemeint, sondern soll rhetorisch provozieren, die faktische Situation dieser Gesellschaft beleuchten.

Arbeit in der Antike und im bürgerlichen Zeitalter


Ein weiterer nicht unwesentlicher Unterschied zwischen Antike und Moderne ist die Auffassung über Arbeit als hervorbringende oder gegenständliche Tätigkeit. Während für Aristoteles und die Herrschenden in der Antike die Verstrickung in den Naturzusammenhang durch Arbeit Sache der Sklaven, Bauern, Handwerker und Lohnarbeiter war,  um die Muße der Herren zu gewährleisten, wird seit dem Mittelalter die Arbeit aufgewertet.
„Arbeit ist im hohen und späten Mittelalter nicht länger niedere Tätigkeit von Sklaven und Unfreien, die im vollen Sinne gar nicht als Menschen angesehen werden, sondern sie gilt als Folge der Erbsünde, die alle Menschen betrifft. Die Vernunft und das Selbstbewußtsein der Menschen sind also nicht, wie die Antike glaubte, der Arbeit entgegengesetzt, Arbeit wird vielmehr selbst als vernunftbestimmte Tätigkeit gefaßt.“ (Mensching: Allgemeine, S. 76)
Einen Höhepunkt der Aufwertung der Arbeit war im Calvinismus und verwandten religiösen Strömungen erreicht. Arbeit wird zum gottgewollten Lebenszweck (Weber: Protestantische Ethik, S. 198). Das Resultat der Arbeit als Frucht der Berufsarbeit war ein Segen Gottes, entsprach den „guten Werken“; dagegen galten triebhafte Habgier, Mammonismus und der verschwenderische Genuss des Reichtums als Sünde.
„die religiöse Wertung der rastlosen, stetigen, systematischen, weltlichen Berufsarbeit als schlechthin höchsten asketischen Mittels und zugleich sicherster und sichtbarster Bewährung des wiedergeborenen Menschen und seiner Glaubensechtheit mußte ja der denkbar mächtigste Hebel der Expansion jener Lebensauffassung sein, die wir hier als ‚Geist‘ des Kapitalismus bezeichnet haben. Und halten wir nun noch jene Einschnürung der Konsumtion mit dieser Entfesselung des Erwerbslebens zusammen, so ist das äußere Ergebnis naheliegend: Kapitalbildung durch asketischen Sparzwang.“ (A. a. O., S. 194)
Seiner religiösen Konnotation beraubt, wirkt dieses Arbeitsethos bis heute als Ideologie der bürgerlich-kapitalistischen Epoche weiter. Und dass der sozialdemokratische Theoretiker Josef Dietzgen die Arbeit unkritisch verherrlicht als „Heiland unserer Zeit“, konnte Marx zwar noch nicht wissen, aber ähnliche Phrasen haben seine scharfe Kritik provoziert (vgl. MEW 19 (Kritik des Gothaer Programms) S. 15), da sie die soziale Formbestimmtheit der Arbeit als Sklaven-, Fron- und Lohnarbeit außer Acht lassen, also gerade von der Gerechtigkeit, insofern sie mit der Arbeit verbunden ist oder nicht verbunden ist, abstrahieren.
Unabhängig von dem Streit, ob das Arbeitsethos zuerst da war, wie Max Weber behauptet, oder zuerst die Ökonomie, die solch ein Arbeitsethos bedurfte, oder ob hier eine Wechselwirkung vorliegt, ist das Resultat die Kapitalakkumulation, die Anhäufung von Reichtum und Produktivität, die systematische Ausweitung der Produktion und damit auch der Arbeitsbevölkerung. Das Kapital „schafft für seine wechselnden Verwertungsbedürfnisse das stets bereite exploitable Menschenmaterial“ (Marx: Kapital I, S. 661).

Die Kapitalakkumulation, d. h. die Reinvestition des Mehrwerts, ist erzwungen, um im Konkurrenzkampf zu bestehen, sie schafft also eine permanente Ausweitung von Reichtum und Produktivität sowie in der Anfangsphase eine „Bevölkerungsexplosion“, deren Resultat die heutige Gesellschaft darstellt. In der Antike dagegen blieb die Ausweitung der Produktion etwas Sporadisches, eine Steigerung der Produktivität fand nur zufällig statt oder konnte sich nicht überall durchsetzen und die Bevölkerung wuchs zwar langsam, aber dieser Zuwachs wurde durch Gründung von Kolonien oder durch Menschenverluste im Krieg sozial verträglich abgefangen.

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B. Gerechtigkeit in der Moderne

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


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